Politik

Ein König geht

Capture d’écran 2014-06-22 à 15.53.34Der König der Belgier geht. Viel bescheidener, viel demütiger als Königin Beatrix, die sich bei ihrer Abdankung im Januar dieses Jahres der Liebe eines ganzen Volkes sicher sein konnte. König Albert II., Herrscher über ein zerrissenes Land, schien während seiner Rücktrittsrede am Abend des 3. Juli 2013 ein erschöpfter, müder Mann zu sein. Aber er hat sich tapfer gehalten in einer Zeit, in der Belgien vor seinen Augen auseinanderdriftete.

Es ist zu hoffen, dass sein Land das honoriert. Zwanzig Jahre lang erwies sich König Albert II. als ruhender Pol in einem zerrissenen Land. Als er im Alter von 59 Jahren zum Nachfolger seines früh und unerwartet verstorbenen Bruders Baudouin antrat, traute niemand ihm zu, in die Fußstapfen des vom Volk verehrten Monarchen treten zu können. Er hat seine Aufgabe mit Bravour gemeistert. Vor allem machte er nicht den Fehler, Baudouin nachzuahmen.

Albert umweht nie die Aura der Heiligkeit. Er war ein König des Volks, der lachende König, der joviale Landesvater aller Belgier. Und ein weitsichtiger Pragmatiker. Baudouin hatte sichtbar unter der zunehmenden Spaltung des Landes gelitten. Albert akzeptierte sie, empfahl aber seinen Untertanen, vernünftig mit den Differenzen zwischen dem Norden und dem Süden umzugehen und über alle gegensätzlichen Interessen hinweg die Einheit zu bewahren. Und als Belgien zwischen 2010 und 2012 unfähig schien, sich eine Regierung zu geben, verhinderte er immer wieder das Ärgste und ermutigte die einander abwechselnden Regierungsbildner, weiterzumachen.

Schließlich bekamen die Belgier eine Regierung. Der König konnte sich trotzdem nicht zurücklehnen. In Flandern griff immer mehr das Gefühl um sich, dass das Königshaus das letzte Hindernis auf dem Weg zu einer weitgehenden Unabhängigkeit sei. Da konnte Albert noch so gut Niederländisch sprechen, für sie blieb die Königsfamilie „französischsprachig“. Hinzu kamen in jüngster Zeit die Diskussionen um dubiose Stiftungen der greisen Alt-Königin Fabiola, die offensichtlich Teile ihres Vermögens ins Ausland zu verbringen trachtete.

Albert verlernte das Lachen. Und zum Schluss machte er einen Fehler. Anstatt seine uneheliche Tochter Delphine Boël endlich anzuerkennen, wich er aus und erklärte die Angelegenheit in seiner letzten Weihnachtsansprache zur Privatsache. Andere europäische Fürsten haben sich da geschickter verhalten.

Die Abschiedsrede

Dennoch war seine Abschiedsrede ergreifend. Vor den Fernsehkameras, vor Belgien stand ein Mann, der im reifen Alter noch über sich hinausgewachsen war. Sichtlich erschöpft von zwanzig Jahren turbulenten Regierens verlas er eine kurze Ansprache. Seine letzten Worte waren „Es lebe Belgien“. Man nahm sie ihm ab. Authentizität hat Albert immer ausgezeichnet.

Am 21. Juli übernimmt Prinz Philipp das Amt des Staatsoberhaupts. Er ist hervorragend auf seine Aufgabe vorbereitet. Woran es Philipp wie bisher allen Königen der Belgier noch mangelt, ist die Fähigkeit, unkompliziert mit der Presse und der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Aber da kann die künftige Königin Mathilde einspringen. Und zu Hoffnung berechtigt auch, dass Mathilde und Hollands Königin Máxima eng miteinander befreundet sind. Vom niederländischen Königshaus kann das belgische noch eine Menge lernen.

Dennoch ist zurzeit völlig unklar, wie es mit Belgien und seinem Königshaus weitergehen wird. Die rechtsradikale flämische Partei Vlaams Belang und die flämisch-nationalistische Partei N-VA wittern Morgenluft. Wenn schon ein neuer König, dann auch gleich eine Beschneidung seiner Kompetenzen, ließen sie flugs nach der Abdankungsrede verlauten. Premier Di Rupo, wiewohl Sozialist, wirkte da weniger berechnend. Ihm war ehrliche Ergriffenheit über die Entscheidung Alberts anzumerken.

Auswirkungen

Der Rücktritt Alberts II. wird mit Sicherheit Auswirkungen auf die belgische Föderalwahl im Mai 2014 haben. Werden ihm die Flamen den Rücktritt als Schwäche ankreiden? Und als Beweis dafür anführen, dass das Königshaus degeneriert und überflüssig ist? Dabei steht Belgien wahrscheinlich abermals eine äußerst komplizierte Regierungsbildung bevor. Wird Philipp die Autorität, die Geduld und die Kraft aufbringen, sein Land um alle Klippen herum zu lotsen, die jetzt schon am Horizont auftauchen?

Jedoch hat Albert II. den Zeitpunkt seines Rücktritts mit Bedacht gewählt. Philipp wird sich bis zur Wahl in seiner neuen Rolle etabliert haben, Mathilde aus dem Schatten Paolas getreten sein. Albert will, so sagte er in seiner Rede vom 3. Juli, den Weg für ein junges, demokratisches und zeitgemäßes Belgien frei machen. Ein Vermächtnis, das anrührt. Hoffentlich das ganze Land.

 

Autor: Marion Schmitz-Reiners

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