Politik

Das DG-Parlament auf dem Holzweg

Von Rudolf Wagner.

Was für ein Aufbruch! So viele Vorschusslorbeeren! „Die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien wagt eine Weltpremiere“, titelte die Süddeutsche Zeitung 2019, „ganz normale Bürger machen dort nun die Gesetze“. Doch bis heute ist die angekündigte „Rettung der Demokratie“ ausgeblieben. Zum Tagesgeschäft von Bürgerrat und Bürgerversammlung, den institutionellen Eisenträgern der neuen Zeit in Eupen bemerkt selbst Parlamentspräsident Karl-Heinz Lambertz „Frust“. Am 24. Juni 2021 werden jetzt die neusten Empfehlungen der Bürgerversammlung zum Thema „Inklusion macht Schule!“ in einer öffentlichen Sitzung aller zuständigen Ausschüsse im Parlament vorgestellt.

Es geht um den zweiten Anlauf zum Erfolg einer Initiative, der nicht nur wegen einiger Corona-begründeten Einschränkungen Fragen aufwirft. Mit social distancing im Parlamentsgebäude und Video-Konferenzschaltung läßt sich keine wirklich öffentliche Sitzung veranstalten, die 78000 Bürger Ostbelgiens zum Mitfiebern anregen könnte. Die Deutschsprachige Gemeinschaft stellt sich der Außensicht als eine liebenswerte, wirtschaftlich sehr erfolgreiche, zweiteilige Großgemeinde ohne inneres Konfliktpotential dar. „Inklusion macht Schule!“ ist zugleich ein Thema, für das es vergleichbar wenig Betroffene gibt, für die bereits gesetzliche Rahmenbedingungen gelten, die man verbessern könnte, die aber keinen Widerspruch hervorrufen.

Mummenschanz?

Lohnen sich Einsatz und Aufwand für einen solchen parallelen Parlamentarismus in einem Landstrich, der von Häuserbesetzungen, antisemitischen Brandstiftern, Finanzskandalen oder rechtsradikalen Polizisten verschont geblieben ist? Wo man über Einwanderung und Flüchtlingsprobleme lieber nicht spricht? Der „Bürgerdialog“ der Deutschsprachigen Gemeinschaft verspricht Beteiligung, aber nur nach einem Losverfahren; seine Empfehlungen binden weder Parlament noch Regierung der DG, und sie enthalten auch kein Recht zu ihrer Durchsetzung. In einem Leserbrief für die Website „Ostbelgien direkt“ heißt es: „Diese Farce einer Bürgerversammlung ist Geldverschwendung, Zeitverschwendung und insofern sinnloser Mummenschanz für Bürgerinnen und Bürger, die noch mit Kasperlepuppen spielen.“

Blicken wir zurück auf die erste Befassung der Bürgerversammlung und des Bürgerrates zum Thema: „Pflege geht uns alle an! Wie können die Pflegebedingungen für Personal und Betroffene verbessert werden?“ In den Schlussdokumenten werden „mehr Urlaubstage bei gleicher Bezahlung“ gefordert, wobei die Finanzierung dieses dringenden Wunsches ausgeblendet wurde, und dann gibt es auch noch den schönen Satz: „Nur zufriedenes Personal ermöglicht auch eine gute Pflege.“ Diese Einsicht ist nach vielen Sitzungstagen mit geladenen Experten, nach Bezahlung von Sitzungsgeldern, Honoraren und Postgebühren auf der Website des Gremiums https://www.buergerdialog.be/ publiziert und nun gut für jeden Abreißkalender.

Konkurrenz oder Korrektiv?

Wir brauchen auch in Ostbelgien keine Populisten, die einfache Lösungen für schwierige Fragen vorschlagen. Es ist ein großes und berechtigtes Ziel, politische Entscheidungen wieder bürgernäher zu treffen, zu kommunizieren und dafür Mitstreiter zu gewinnen. Das ist die Aufgabe eines Parlamentes. In Eupen haben sich die gewählten Volksvertreter bereit gefunden, eine neue diskursive Institution an ihre Seite (als Konkurrenz, Korrektiv, Qualitätsgaranten?) zu stellen, wo Nichtgewählte reden dürfen, aber verantwortungslos bleiben. Das ist kontraproduktiv: alles nur ein Gag? Mit ihm wird die Demokratie nicht lebendiger, sondern untergraben. Ausgerechnet Ostbelgien als Versuchsareal für verfassungsrechlich grenznahe Laboranordnungen auszusuchen, war und ist gefährlich. Warum muß man mit Staatsknete und einem bürokratischen Losverfahren Bürger zum Mitreden ködern, wenn die Parlamentspolitiker in Eupen, St. Vith oder Burg Reuland nur über die Straße gehen müssten, um bei einem Bier die Meinung ihre Wähler zu erfahren?

Infos:

Am 24. Juni 2021 werden die Empfehlungen der Bürgerversammlung zum Thema „Inklusion macht Schule!“ in einer öffentlichen Sitzung aller zuständigen Ausschüsse im Parlament vorgestellt. 31 Empfehlungen hatte die Bürgerversammlung zum Thema „Inklusion macht Schule! Welche Veränderungen brauchen wir im Bildungsbereich, damit Inklusion ein Gewinn für alle wird?“ formuliert und am 9. Juni an Parlamentspräsident, Ministerpräsident und Ausschussvorsitzende schon symbolisch überreicht. Nun werden sie in einer öffentlichen Sitzung der Parlamentsausschüsse den Abgeordneten und Regierungsmitgliedern vorgestellt.

Die Sitzung beginnt um 17.00 Uhr. Aufgrund der geltenden Maßnahmen sind zwei Pressevertreter zugelassen. Publikum ist nicht zugelassen. Die Sitzung kann im Livestream verfolgt werden auf www.pdg.be.

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