Editorial, Politik

Auf dem Weg zum belgischen Corona-Pass

 

Von Michael Stabenow.

Lange schienen in Belgien Erleichterungen für geimpfte Menschen, etwa in Form eines sogenannten „Corona-Passes“, tabu zu sein. Inzwischen hat die Debatte, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Erfahrungen in Dänemark und der jüngsten Beschlüsse in Deutschland, mächtig an Tempo gewonnen.

Eine Arbeitsgruppe des unter anderem mit Medizinern, Ethikern und Gesellschaftswissenschaftlern besetzten Expertengremiums (Gems), das die Regierung beim Umgang mit der Corona-Pandemie berät, feilt derzeit an einem Bericht zu dem heiklen Thema. Dahinter steht die Frage, ob und wann geimpfte Menschen ihnen in der Pandemie vorenthaltene Rechte wiedererlangen sollen oder – wie die Gegner anführen – es sich dann um ein „Privileg“ und damit eine rechtlich verbotene Diskriminierung anderer Bevölkerungsgruppen handelt.

Das Gems-Dokument soll rechtzeitig zur der für Mitte kommender Woche angesetzten nächsten Sitzung des sogenannten Konzertierungsausschusses von Föderal- und Regionalregierungen vorliegen. Es soll als Grundlage für politische Entscheidungen dienen, mit denen aber dann noch nicht zu rechnen ist. Dennoch nimmt der Druck durch die öffentliche Diskussion sowie die Tatsache zu, dass inzwischen rund 28 Prozent der Bevölkerung eine erste sowie knapp acht Prozent eine zweite Impfdosis erhalten haben.

Der “digitale grüne Nachweis”

Zu unterscheiden ist auch in Belgien zwischen der Debatte um den geplanten, von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen „Digitalen grünen Nachweis“ für geimpfte oder auf das Virus negativ getestete Personen im grenzüberschreitenden Reiseverkehr sowie den im Inland geltenden Erleichterungen. Dabei geht es, wie in Dänemark und Deutschland, um bestimmte Rechte, zum Beispiel den Besuch von Friseursalons, Gaststätten oder Veranstaltungen ohne weitreichende Auflagen.

Den Stein richtig ins Rollen gebracht hat in der belgischen Debatte der sozialistische Ministerpräsident der Hauptstadtregion, Rudi Vervoort. Im Fernsehsender RTL erklärte er, es müsse sich für die geimpften Menschen etwas ändern. „Man kann ihnen nicht sagen, dass sie abwarten müssen, bis die Skeptiker sich entschieden haben. Sobald die gesamte Bevölkerung die Gelegenheit erhalten hat, sich impfen zu lassen, erscheint es mir legitim, ein solches System eizurichten“, sagte Vervoort.

Vermutet wurde, dass der Brüsseler Politiker den Vorstoß vor allem unternommen habe, um zusätzliche Anreize für die Impfung zu geben. Tatsächlich liegt die Hauptstadtregion bei der Impfung, nicht zuletzt älterer Jahrgänge, deutlich hinter Flandern, Wallonien und der im innerbelgischen Vergleich führenden Deutschsprachigen Gemeinschaft zurück.

Die Freiheit wieder zurückgeben

Auch in Flandern, wo bis Anfang Mai 89 Prozent aller über 65-Jährigen – in Brüssel dagegen nur 71 Prozent – eine erste Impfdosis erhalten haben, gibt es eindeutige Bestrebungen für einen Corona-Pass. Der christlich-demokratische Gesundheitsminister Wouter Beke nannte im Rundfunksender VRT den 11. Juli, den Feiertag der Flämischen Gemeinschaft, als Zeitpunkt für die dann abgeschlossene erste Impfung aller erwachsenen Bewohner der Region. „Wenn jeder die Gelegenheit erhalten hat, sich impfen zu lassen, dann müssen wir es wagen, die Freiheit wieder zurückzugeben, die wir den Menschen weggenommen haben“, sagte Beke.

Auch Pedro Facon, als „Corona-Kommissar“ für die Regierung an vorderster Front tätig, denkt ähnlich. Er gab zwar zu bedenken, dass eine „solide rechtliche Grundlage“ für einen Corona-Pass unerlässlich sei. „Aber dass es einen Impf- und Testausweis geben wird, wenn die vollständig – zwei Dosen – geimpfte Bevölkerung wächst, daran herrscht für mich keinerlei Zweifel“, schrieb Facon auf „Twitter“.

Erhebliche Bedenken gegen die Pläne trägt nicht zuletzt die belgische Behörde zur Bekämpfung von Diskriminierungen (Unia) vor. Ihr Einwand, dass sich das Problem der Benachteiligung eines Teils der Bevölkerungen nur durch einen generellen Impfzwang lösen lasse, erscheint angesichts der Ablehnung einer entsprechenden Verpflichtung durch die meisten belgischen Politiker realitätsfern.

Und wer sich nicht impfen lassen will?

In einem auf der Website der Organisation auch auf Deutsch veröffentlichten und „Der Versuchung widerstehen“ überschriebenen Beitrag plädiert Unia-Direktor Patrick Charlier dafür, Impfungen als „ergänzendes Element“ anderer Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu betrachten. Der Zugang zu Gaststätten, Kinos, Theatern, Sport- und Bildungseinrichtungen sowie Reisemöglichkeiten dürften „nicht allein von der Impfung abhängig gemacht werden“. Benachteiligungen hätten auch Menschen zu befürchten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden könnten. Sorgen bereiten dem Unia-Direktor ferner diejenigen, die aus Überzeugung die Impfung ablehnten. „Müssen sie für ihre Wahl auf diese Art ´bezahlen`“, fragte Charlier.

Fürsprecher des Corona-Passes lassen den Einwand nicht gelten, dass ein entsprechender „Blankoscheck“ für Geimpfte ethisch nicht zu rechtfertigen sei. Die flämische Tageszeitung „De Standaard“ legte den Finger in die Wunde. Ihr Kommentator Bart Sturtewagen warnte davor, dass eine Minderheit von Impfgegnern und -muffeln der Mehrheit Freiheiten vorenthalten könne. Das sei nicht fair und gefährde überdies den wirtschaftlichen Wiederaufschwung.

Wer sich nicht impfen lassen wolle, solle sich – möglichst kostenlos – testen lassen, was die gleichen Möglichkeiten wie bei Geimpften eröffne. Von Diskriminierung könne kaum die Rede sein. „Es gibt höchstens einen Unterschied infolge einer eigenen Wahl. Das nennen wir durchgehend keine Diskriminierung“, schrieb Sturtewagen.

Und der belgische Regierungschef Alexander De Croo? Im Privatsender QMusic erklärte er zwar, dass ein Corona-Pass derzeit nicht anstehe. Aber der liberale Politiker stellte auch klar, dass sich dies ändern könne. „Sobald jeder die Gelegenheit erhalten hat, sich impfen zu lassen, ist das etwas anderes. Denn dann wird es eine freie Entscheidung gewesen sein, diesen Impfstoff nicht zu nehmen“, sagte De Croo.

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