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Supermarktkette Delhaize tritt die Flucht nach vorne an

Von Michael Stabenow

Wer durch die Straßen Brüssels und anderer belgischer Städte schlendert, dem wird nicht entgangen sein, dass in den vergangenen Jahren Filialen von Supermarktketten wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Dabei handelt es sich genau genommen in der Regel um von Selbständigen betriebene Geschäfte, die häufig auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet sind.

636 solcher Geschäfte werden mit Produkten von Delhaize versorgt, neben Colruyt und Carrefour der Branchenriese bei den Lebensmittelgeschäften in Belgien. Sie firmieren unter den Bezeichnungen AD Delhaize, Proxy Delhaize und Shop & Go. Nur 128 große Supermärkte werden vom Unternehmen noch in eigener Regie geführt. Noch – denn auch diese Geschäfte sollen künftig im sogenannten Franchising durch selbständige Unternehmer betrieben werden. Weiter in Eigenregie sollen mehreren Dutzend Delhaize-Geschäfte im Großherzogtum Luxemburg verbleiben.

Die Delhaize-Spitze sicherte zu, der Übergang zu einem einheitlichen Geschäftsmodell in Belgien werde „das Wachstum dieser 128 Supermärkte stimulieren“ und ohne negative Auswirkung auf Arbeitszeit und Entlohnung sein. „Dies ist die einzige Option, um weiter in eine nachhaltige Zukunft für Delhaize zu investieren“, ließ das Unternehmen am Dienstag nach der Entscheidung verlauten. Alles andere als beruhigt über die von Delhaize angekündigte Flucht nach vorne zeigten sich hingegen viele Beschäftigte der betroffenen Läden. Auch am Mittwoch blieben etliche Filialen geschlossen. Die Protestaktionen dürften sich mindestens bis zum Wochenende hinziehen, ehe es in der kommenden Woche eine weitere Sitzung des Betriebsrats geben soll.

Die Delhaize-Geschäfte mit ihrem Löwenlogo sind seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des Straßenbilds in Belgien. Dabei steht das vor 155 Jahren gegründete Traditionsunternehmen seit 2016 unter Kontrolle des niederländischen Einzelhandelskonzerns Ahold. Dieser hatte kurz zuvor damit begonnen, mit seiner Supermarktkette Albert Heijn in Belgien, genau genommen in Flandern, Fuß zu fassen. Mit der Übernahme für rund 25 Milliarden Euro hatten sich damals jedoch Hoffnungen zerschlagen, der Marktantritt des niederländischen Anbieters werde die Konkurrenz auf dem jahrzehntelang durch das Nebeneinander von Delhaize, Carrefour und Colruyt belgischen Markt verschärfen und die Preise drücken.

Delhaize rechtfertigt ihre Entscheidung mit verschiedenen Argumenten. So legten die Kunden in Zeiten wirtschaftlicher Herausforderungen zunehmend Wert auf in der Nähe gelegene Geschäfte mit flexiblen Öffnungszeiten, auf Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit. Vor diesem Hintergrund seien die eigenständig betriebenen Läden, die sich schnell und erfolgreich an veränderte Marktbedingungen anpassten, im Vorteil. Sie hätten in den vergangenen Jahren ihren Marktanteil gesteigert. „Dagegen sahen die in eigener Regie betriebenen Supermärkte trotz vieler Initiativen und Investitionen im selben Zeitraum ihre Rentabilität und ihren Marktanteil zurückgehen“, heißt es in der Delhaize-Mitteilung.

Noch unklar ist, wie das Vorhaben des Unternehmens verwirklicht werden soll, alle 128 Supermärkte in das Franchising-System zu überführen. So wird darauf verwiesen, dass die „sehr heftige“ Konkurrenz auf dem belgischen Einzelhandelsmarkt sich nicht nur durch die Anzahl der Anbieter, sondern auch bei den Preisen bemerkbar mache. Nicht bestreiten lassen dürfte sich indessen, dass Kunden für einen vergleichbaren Warenkorb in belgischen Geschäften häufig mehr hinblättern müssen als zum Beispiel in deutschen oder französischen Supermärkten.

Unter Gewerkschaftsvertretern bestehen zudem Befürchtungen, dass neu eingestellte Mitarbeiter der „in die Selbständigkeit entlassenen“ Supermärkte nicht mit den bisherigen Gehalts- und Arbeitsbedingungen rechnen können. So sind die bisher in Eigenregie betriebenen 128 Geschäfte im Regelfall sonntags geschlossen.

An Sonntagen geöffnet sind hingegen die mehr als zwei Dutzend Supermärkte, die der niederländische Albert Heijn-Konkurrent Jumbo derzeit in Flandern betreibt. Mit dem belgischen Starradrenner Wout van Aert und dem dänischen Tour de France-Sieger Jonas Vingegaard, die für den Jumbo-Visma-Rennstall in die Pedalen treten, verfügt der niederländische Anbieter über populäre Werbeträger.

Dennoch scheint sich das seit 2019 vorangetriebene Projekt, Jumbo in Belgien als schlagkräftigen Konkurrenten zu positionieren, mit vielen Zweifeln behaftet. Unter Hinweis auf die Verluste in Belgien wagte Jorg Snoeck, Gründer des Fachmediums „RetailDirect“ Ende 2022 in seiner Publikation folgende Prognose: „Wenn ich eine Vorhersage für 2023 machen darf, dann die, dass Jumbo 2023 Belgien wieder verlässt.“

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