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Musikalisches Muskelspiel um eine scheue Katze

piet_verbiestDie vorliegende CD enthält acht Eigenkompositionen des in Antwerpen beheimateten Kontrabassisten Piet Verbist. Zu seiner Band zählen unter anderem der Saxofonist Jeroen van Herzeele, der gemeinsam mit Massot und Blondiau auch in Maäk zu hören ist. Neben van Herzelle am Tenor- und Sopransaxofon ist noch ein weiterer Saxofonist in der Band, der Baritonsaxofonist Vincent Brijs. An Fender Rhodes und an der Wurlitzer hören wir Bram Weijters und die Rhythmusgruppe komplettiert der Schlagzeuger Herman Pardon.

Neben dem Klang der verschiedenen Saxofone und seinem hintergründigen Tieftöner hat Verbist seinen Kompositionen auch eine eher weiche Klangnote hinzugefügt, denkt man an Fender Rhodes und Wurlitzer. „Cattitude“ nennt Verbist sein Album. Doch welche Bedeutung hat dieser Begriff? Ein Blick in ein Wörterbuch verrät es: „Cattitude“ bedeutet, so meine Fundstelle, Reserviertheit, Fremdeln, auf Abstand gehen, sich abweisend zeigen. All das bezieht sich auf die eigene Katze, enthält doch das Wort den englischen Begriff „cat“ für Katze und „attitude“ für „Verhalten“, oder?

Eine Katze, die fremdelt
Also schauen wir mal, ob wir das aus dem Stück heraushören können, das das aktuelle Album einleitet: Dumdumdumdumdimdimdim – schnelle Beats des Schlagzeugs – und dann das Gebrumme des tieftönigen Baritonsaxofons, Anklang an Signalrufe und melodisch anmutende Kurzpassagen von Tenor- und Baritonsaxofon; die Wurlitzer verbleibt mit satten Tonfolgen im „Untergrund“ und dann wieder ein Tätätätä, ein schrilles, ehe die Wurlitzer das Wort bekommt – ja so klingt für mich „Cattitude“. Zu all dem gesellt sich noch ein Schlagzeug mit dezentem Beckenschwingen und der vor sich hinbrummende Bass. So hört sich also Fremdeln einer Katze an, jedenfalls bei Piet Verbist.

Besonders ohrschmeichelnd ist das Wechselspiel zwischen den Holzbläsern – das sind Saxofone, auch wenn es merkwürdig anmutet – und der Rhythmusgruppe. Auffallend ist nicht nur im ersten Werk der CD, wie hoch der Anteil der Solos ist. Piet Verbist hält sich dabei auffällig zurück. So vernimmt man van Herzeeles krächzendes, trillernden, schreiendes, klagendes, vibrierendes und trötendes Saxofon ganz besonders exponiert. Auf dieses Geschrei antwortet das Baritonsaxofon mit beruhigendem „Dreiklang“.

Die Schönheit im Biest
Fender Rhodes und Bass eröffnen „The Beauty in the Beast“, und man ist dann im weiteren Verlauf geneigt, an eine Klang-Reise nach New York und die dortigen Jazzklubs oder an das Pariser Quartier Latin zu denken, wo vor Jahrzehnten gejammt wurde, was das Zeug hält. Als Gedankenblitz taucht auch die Erinnerung an den Film „Round Midnight“ auf. Worum geht es dabei? Paris in den 1950er Jahren – der alkoholabhängige Saxofonist Dale Turner (Dexter Gordon) hatte aufgrund eines Nervenzusammenbruchs schon lange nicht mehr gespielt, als er von New York nach Paris kommt. So beginnt die Filmstory, die als Beste zum Thema Jazz gilt. Charly Parker, Garry Mulligan, Ben Webster, Dexter Gordon, Stand Getz – ja all die Großen des Jazz tauchen beim Zuhören des zweiten Titels des Albums in den Gedanken auf, vielleicht oder vielleicht auch nicht.

Über den langsamen Passagen, gespielt auf dem Fender Rhodes, erhebt sich das aufgekratzte Sopransaxofon. Behutsam zupft Verbist seinen Bass dazu, der in keinem der aufgenommenen Stücke exaltiert erscheint. Ist es Barmusik, die wir hören? Vielleicht sind wir wirklich in den 1950er Jahren in Paris. Schwere verbindet sich mit Schwermut, hören wir weiter aufmerksam zu. Herbststimmung beschreibt wohl am ehesten die Gefühlswelt, die der Titel anspricht.

Beschränkte Giganten
Flott hingegen ist der Titel „LPG“ und nach dem Beginn erwartet man auch ein wenig Rock und Fusion. Doch das ist der täuschende Beginn der „beschränkten Giganten“ – so die Übersetzung des Titels „LPG“. Wen dabei Piet Verbist wohl im Blick hatte? In diesem Werk ist eine teilweise nachhallende Wurlitzer dank Bram Weijters nicht zu überhören. Doch die Wurlitzer ist bald nicht mehr alleine auf weiter Flur. Mit quakender Stimme zettelt das Tenorsaxofon ein Palaver an. Der Bass intoniert dabei so etwas wie „Jajajajaja…“, genervt und zustimmend zugleich. In dieses Zwiegespräch von Bass und Saxofon mischt sich auch wieder die Wurlitzer ein, teilweise lyrisch in einigen Sequenzen. Wenn es dann tutti heißt, ist der Zuhörer zurück in der Welt von Bebop, Hard Bop und Cool Jazz reloaded.

Statt „Bitches Brew“ gibt es bei Piet Verbist „Witches Stew“, also Hexeneintopf, ein akustischer Schmaus und kein banales Einerlei. Eigentlich müsste man mal wieder „Bitches Brew“ hören oder? Doch wir lauschen hingegen ein wenig dem Brodeln und Köcheln der Hexenküche.

Von den übrigen Einspielungen möchte ich gerne „Double Trouble“ herausgreifen. Wer ist denn da in Schwierigkeiten? Das Saxofon vielleicht? Hört man es, scheint es aufgewühlt und aufgeregt zu klingen. Derweil ziehen gemächlich die Klangwolken der Wurlitzer über den Zuhörer dahin. Spüren wir da nicht auch wenig Blues oder haben wir ihn schon?

Mienenspiel oder was?
Das letzte Stück der CD besitzt einen ganz außergewöhnlichen Titel und bezeichnet einen Gesichtsmuskel, der für unser Mienenspiel von Bedeutung ist: Zygomaticus minor. Man müsste Piet Verbist mal fragen, wie er denn auf so einen abseitigen Titel gekommen ist. Schon der Bandname bezieht sich auf das Jochbein, jedenfalls ist das meine Übersetzungsversion von „Zygomatik“. Aufgemacht wird das Stück mit dem Baritonsaxofon, zu dem sich der geblasene „Obertöner“ namens Sopransaxofon gesellt. Sequenzen gleiten dahin, so als würde es sich um die Musik für einen Naturfilm handeln. Doch hier geht es ja um einen Muskel und dessen Funktion fürs Mienenspiel, fürs behutsame Mienenspiel, folgt man dem musikalischen Duktus, der Piet Verbist zu verdanken ist.

© ferdinand dupuis-panther

Informationen

Label
Original Records
www.origin-records.com

Musiker

Piet Verbist
www.pietverbist.be

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