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Mumien im Keller

Letzte Ausstellung entführt hinter die Kulissen des Museums

Mumien im Keller_01Das Königliche Museum für Zentralafrika in Tervuren – allein im Namen schwingen über ein Jahrhundert Kolonialgeschichte mit. Ein Museum aus royalen Zeiten, das selbst schon etwas in die Jahre gekommen ist. Nun soll es renoviert, erweitert und rundum erneuert werden. Die Sonderausstellung UNCENSORED bietet Gästen die letzte Chance, das Museum noch einmal zu besuchen, bevor es mehrere Jahre schließt.

Jeder Schritt auf dem steinernen Fußboden hallt ein wenig nach. Der feuchte Duft von Tierfellen und altem Holz liegt in der Luft. Neonröhren erhellen den langen Gang im Untergeschoss. An den Kellerwänden hängen die abgetrennten Köpfe von Antilopen, Büffel, Gazellen, Nashörner – Alles Jagdtrophäen aus der riesigen Sammlung des Königlichen Afrikamuseums in Tervuren direkt vor den Toren Brüssels. Nur ein Bauzaun trennt die Besucher von den wilden Tieren. „Die Beiden gefallen mir am besten“, Sandra Eelen zeigt auf zwei Giraffen, die ihren Hals durch die Wand zu strecken scheinen, „Der Jäger muss ein sehr großes Wohnzimmer besessen haben.“

 

Rote Holzkisten – Das Museum packt ein

Mumien im Keller_02Eelen ist Pressereferentin des Museums und verantwortlich für die neue Sonderausstellung UNCENSORED. Diese ermöglicht den Besuchern erstmals einen Blick in den Museumskeller, wo ein Großteil der Sammlung aufbewahrt wird. Denn oben in den Ausstellungssälen zeigt das Afrikamuseum nur etwa ein Prozent seines gesamten Besitzes. Nicht nur aus Platzmangel. „Glauben Sie mir, Sie wollen gar nicht alle Objekte sehen. Es sind einfach viel zu viele“, meint Sandra Eelen. Im Keller verdeutlicht ein Raum bis an die Decke gefüllt mit traditionellen Nackenstützen die enorme Anzahl der Ausstellungsstücke. 300 verschiedene Holzstützen stehen in den Regalen. Nur zwanzig Prozent der insgesamt 1.500 Exemplare im Besitz des Afrikamuseums.

Rote Holzkisten markieren den Weg der Sonderausstellung UNCENSORED quer durchs Museum. Ein Audioguide, erhältlich in Französisch, Niederländisch und Englisch gibt weitere Hintergrundinformationen. So erfährt der Besucher, wieso der berühmte Elefantenbulle im ersten Saal nicht seine eigenen Stoßzähne im Maul hat oder wie sich ein lebender Python eine Woche lang im Museum verkriechen konnte, ohne entdeckt zu werden. „Genau diese Anekdoten wollten wir mit den Besuchern teilen, damit sie auch die vielen unbekannten Geschichten hinter den Ausstellungsstücken kennen lernen“, erklärt Sandra Eelen.

 

Die Legende der ausgestopften Afrikaner

Ein weiterer Grund für die Sonderausstellung ist die brodelnde Gerüchteküche rund um die Sammlung des Königlichen Museums. Menschliche Schrumpfköpfe und ausgestopfte Afrikaner sollen in den Kellergewölben lagern. Sandra Eelen wird auf Partys oft auf Ihre Arbeit angesprochen. „Sobald ich erzähle, dass ich im Afrikamuseum arbeite, stellen die Leute eigentlich immer dieselben Fragen: Warum zeigt ihr nur so wenig von eurer Riesensammlung? Und die Frage: Habt ihr wirklich menschliche Leichen im Lager?“

Mumien im Keller_03Als Guido Gryseels 2001 seinen Posten als Direktor antrat, interessierte auch er sich für die Wahrheit hinter den Gerüchten. Er fragte bei den Forschern nach und erhielt eine eindeutige Antwort. Das einzige, was im Museumskeller lagert, sind zwei natürlich konservierte Mumien unbekannter Herkunft. Vor mehr als 70 Jahren waren die beiden ohne irgendwelche Informationen in einer Holzkiste angekommen. Ihr Alter konnte bis jetzt noch nicht genau bestimmt werden, sodass sie den Forschern weiter Rätsel aufgeben. UNCENSORED präsentiert Fotos der Mumien.

 

Vergessene Opfer der Kolonialzeit

Direkt über dem Keller mit Mumien und Jagdtrophäen befindet sich die Galerie der Erinnerungen. Ein hoher, prächtiger Gang, an dessen linker Wand sich Name an Name reiht. 1.508 an der Zahl. Die Galerie listet fein säuberlich jeden einzelnen Belgier auf, dessen Grab nicht in Belgien ist, da er zwischen 1876 und 1908 im Kongo gestorben ist. Dass auch der ein oder andere Kongolese in diesem Zeitraum sein Leben verloren hat, verschweigt die Tafel.

Mumien im Keller_04Eine moderne Leinwand direkt darunter versucht dieses Manko zu beheben. Auf ihr erscheine Kreuze und verblassen wieder, sammeln sich, überlagen sich und bilden digitale Friedhöfe. „Wo sind die Name der Kongolesen?“ ist auf der Leinwand zu lesen. Ein Versuch mit der brutalen Kolonialgeschichte in Zentralafrika umzugehen. Bis heute ist nicht bekannt, wie viele Kongolesen der Ausbeutung ihrer Heimat zum Opfer fielen.

Doch die moderne Videoinstallation zeigt: Das Museum verändert sich. Auch andere Bereiche passen sich der Zeit an. Standen die Tiere anfangs noch nach Größe sortiert in den Schaukästen, sind sie heute nach Regionen und Lebensräumen angeordnet. „Das Museum hat sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt. Schaukästen wurden erneuert oder moderne Dioramen gebaut“, sagt Sandra Eelen. Sie zeigt auf eine Savannenlandschaft mit zwei Krokodilen und einem stolzen Löwen. Alles perfekt präpariert hinter einer Glasscheibe.

 

Ein Krokodil voller Metall

Mumien im Keller_05Genau an dieser Stelle brachte der ehemalige Direktor Dirk Thys van den Audenaerde mit einer kleinen Anekdote den Stein ins Rollen. Einigen Museumsmitarbeitern, darunter auch Sandra Eelen, erzählte er, dass das kleinere der beiden Krokodile so lebendig aussähe, da es – anders als sein größerer Artgenosse- noch voller Knochen und Organe stecke.

Die Geschichte von dem prallgefüllten Krokodil ließ Sandra Eelen nicht mehr los. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen: „Deshalb habe ich den Tierarzt hier aus der Gegend angerufen und gefragt, ob er ein tragbares Röntgengerät besitzt. Das hat er dann mitgebracht und wir konnten sehen, was im Inneren des Krokodil ist: Keine Organe, dafür aber ganz viel Metall.“ Eelen sammelte weitere solcher interessanten und skurilen Geschichten, die sie schließlich den Besuchern in der letzten Sonderausstellung vor der großen Generalüberholung des Museums präsentieren konnte.

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Aus alt mach neu

Drei Toiletten im ganzen Gebäude, veraltete Stromleitungen, im Keller bröckelt der Putz von den Wänden. 102 Jahre sind an dem neoklassischen Palast nicht spurlos vorübergegangen. Deshalb hat die Museumsdirektion beschlossen, das Gebäude rund um zu renovieren. Alle nichtmusealen Bereiche wie Ticketverkauf, Shop oder Cafeteria werden in einen neuen gläsernen Pavillon zur Linken des alten Palastes ausgelagert. Im historischen Gebäude finden nur noch die Ausstellungsräume des Afrikamuseums Platz. Ein breiter unterirdischer Gang soll Neu und Alt miteinander verbinden.

Mumien im Keller_07Die Arbeiten sollen im November starten, deshalb wird das Museum Ende 2012 für längere Zeit schließen. Zweieinhalb Jahre soll die Renovierung dauern. Für Besucher bleibt das Gebäude in dieser Zeit geschlossen, doch die etwa 100 Wissenschaftler des Instituts in Tervuren forschen weiter. Von Anthropologie über Biologie bis zur Politikwissenschaft – In unzähligen Bereichen kooperieren die Forscher des Afrikamuseums mit Kollegen aus der ganzen Welt. So kommen jedes Jahr mehrere Dutzend afrikanische Doktoranden nach Tervuren, um die Sammlung für ihre Studien zu nutzen.

 

Moderne Präsentation im historischen Gebäude

Aber nicht nur äußerlich wird sich das Museum wandeln. Auch die Präsentation soll modernisiert werden, erklärt Pressereferentin Sandra Eelen: „Wir wollen die Ausstellung an die heutige Zeit anpassen ohne den eigenen Charakter des Museums ganz zu verlieren. Statt Maske neben Maske ohne jeden Kontext zu zeigen, wollen wir in Zukunft auch die Traditionen, die damit zusammen hängen, darstellen. So können die Besucher verstehen, wie die Gegenstände im Alltag genutzt wurden.“

Mumien im Keller_08Erst im Mai 2015 soll das rundum erneuerte Afrikamuseum wieder seine Tore öffnen. Bis jetzt haben schon rund 60.000 Besucher die UNCENSORED-Austellung genutzt, um noch einen letzten Blick hinter die Kulissen des Königlichen Afrikamuseums zu werfen. Die kleinen und großen Geheimnisse bringen die Gäste dabei immer wieder zum Staunen und Schmunzeln.

Von  Christoph Niekamp

Fotos: Christoph Niekamp

Infos: Erstellt oder aktualisiert am 27. Juni 2012.

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