Belgien

Mehr Freiheiten im Freien – der belgische Open-Air-Plan

Von Michael Stabenow.

Treffen und sportliche Aktivitäten unter freiem Himmel werden in Belgien ab Montag wieder in größeren Gruppen erlaubt. Wanderungen zu Fuß und – in der Heimat von Eddy Merckx besonders beliebt – auf dem Rad sollen in Gruppen von bis zu zehn, statt wie bisher nur zu viert erlaubt sein. Die Obergrenze für Treffen im Freien wurde in der Praxis in den letzten Wochen ohnehin vielfach missachtet.

„Mehr Freiheit heißt aber auch mehr Verantwortlichkeit“, sagte Premierminister Alexander De Croo am Freitag bei der Verkündung der kleinen Lockerungen. Eindringlich rief er dazu auf, die geltenden Corona-Beschränkungen zu beachten. Der Chef der Gesundheitsbehörde Sciensano, Steven Van Gucht, verweist auf Schätzungen, die zeigen, dass sich nur fünf bis zehn Prozent aller Virusübertragungen im Freien ereigneten. Entsprechende Lockerungen bei Treffen in etwas größerem Kreise seien aber nur zu verantworten, wenn die Corona-Schutzvorkehrungen respektiert würden. Er erinnerte an die Pflicht zum Tragen von Schutzmasken dort, wo sich der Sicherheitsabstand von mindestens 1,5 Meter nicht einhalten lasse.

Die am Freitag getroffene Entscheidung des sogenannten Koordinierungsausschusses, der sich aus Spitzenvertretern der Föderal- und Regionalregierungen zusammensetzt, war eigentlich schon vor Wochenfrist erhofft worden. Ein plötzlich starker Anstieg der Anzahl der Klinikaufnahmen auf über 200 am Donnerstag vergangener Woche hatte jedoch Befürchtungen vor einer „dritten Welle“ geweckt und die Pläne durchkreuzt. Inzwischen hat sich die Zahl der Klinikaufnahmen wieder bei täglich rund 150 eingependelt. Der Anstieg bei den täglichen Neuinfektionen, der zuletzt im Wochenvergleich 25 Prozent erreicht hatte, betrug am Freitag noch zwei Prozent. Van Gucht rechnet von diesem Samstag wieder mit fallenden Zahlen. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz – die Zahl der Infektionen innerhalb einer Woche je 100.000 Einwohner – kletterte jedoch erst einmal von rund 120 auf  jetzt über 155. In Deutschland beträgt sich aktuell rund 65. Aber die Zahl der „mit oder an“ Covid verstorbenen Menschen liegt in Belgien mit zuletzt 26 pro Tag vergleichsweise deutlich niedriger als in Deutschland; dort sind am Freitag für den Vortag 264 Todesfälle vermeldet worden.

Bei der Sitzung des Koordinierungsausschusses zeigten sich offenbar Spannungen zwischen Fürsprechern – vor allem die französischsprachigen Liberalen (MR) und der nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA) – und Gegnern weitreichenderer Lockerungen. Im Gegensatz zu Deutschland sind in Belgien die Einzelhandelsgeschäfte seit längerem wieder geöffnet. Auch der Schulbetrieb verläuft – vor allem bei den jüngeren Jahrgängen – ohne übermäßige Beschränkungen.

Belgische Epidemiologen und Virologen erklärten, dass die weitgehend abgeschlossenen Impfungen in den Pflegeheimen eine erfreuliche Wirkung zeigen. Zu bedenken gegeben wird andererseits, dass sich hinter der Stabilisierung des Trends bei den Neuinfektionen einerseits ein Rückgang bei älteren Bevölkerungsgruppen, andererseits aber auch eine Zunahme bei jüngeren Menschen verberge. Als beunruhigend wird in diesem Zusammenhang gewertet, dass die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen, die vor Monatsfrist auf rund 300 gesunken ist, zuletzt 400 überschritten hat.

De Croo begründete die Entscheidungen des Konzertierungsausschusses damit, dass sie dem „geistigen und physischem“ Wohlbefinden der Menschen, das zuletzt arg gelitten habe, dienen sollten. Die Ministerrunde stellte einen Zeitplan für weitere Lockerungen auch für Restaurants in Aussicht, der bei einer abermaligen deutlichen Zunahme der Infektionszahlen jedoch anzupassen sei.

Ab Mitte März soll der Präsenzunterricht an Schulen ausgeweitet sowie an Universitäten an einem Tag in der Woche wieder zugelassen werden. In einem zweiten Schritt ist vorgesehen, im April die Möglichkeiten für sportliche Trainingsaktivitäten im Freien sowie für Jugendlager zu vergrößern. Viele Kinder und Jugendliche in Belgien sind bei den Pfadfindern aktiv. Dass die wieder Treffen und Lager organisieren können, ist daher gesellschaftlich durchaus bedeutsam. Außerdem sollen zum Beispiel Freizeitparks wieder die Pforten öffnen können.

Erst im Mai soll es auch Lockerungen für das seit Monaten auf den Abholservice beschränkte Gaststättengewerbe geben. De Croo hofft, dass die bis dahin erreichten Fortschritte bei der Impfkampagne auch Lockerungen in geschlossenen Räumen ermöglichen werden. Der Premier kündigte auch an, dass Belgien im Mai „massiv Schnelltests und Selbsttests“ einführen werde. Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke erwartet, dass dies auch die Wiedereröffnung der Restaurants erleichtern werde.

Wichtige und umfangreiche Beschränkungen sind jedoch weiter in Kraft. Es bleibt bei nur einem „Knuddelkontakt“ je Haushalt; Kinos, Theater und Konzertsäle bleiben vorerst leer. Bis mindestens Mitte April gilt ferner das Verbot sogenannter nicht-essentieller Reisen ins Ausland. Ende März kommt der Konzertierungsausschuss erneut zusammen, um die nächsten Schritte zu beraten.

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