Editorial, Gesellschaft

„Hunde an die Leine“

Foto: Maja Dumat CC BY 2.0 via FlickR

Von Michael Stabenow. Flamen und Wallonen mag so manches trennen – im Umgang mit Vorschriften hält man es indes beiderseits der Sprachgrenze einträchtig nicht immer so genau. Das können Spaziergänger tagtäglich beobachten. Dass Hunde in beiden Landesteilen grundsätzlich in der Öffentlichkeit an der Leine zu führen sind, scheint sich weder auf Niederländisch noch auf Französisch überall herumgesprochen zu haben. Und wenn doch, dann wird diese Pflicht oft in nonchalanter Weise missachtet.

Stürzt ein Vierbeiner mehr oder weniger begeistert auf ihm unbekannte Zweibeiner zu, dann rufen Herrchen und Frauchen nicht selten: „Er tut nichts, er ist lieb!“ Und der so angesprungene, gelegentlich auch besabberte Fremdling verkneift sich meist, was eigentlich zu sagen wäre: „Er vielleicht. Sie aber nicht!“

Dreistellige Bußgelder meist nur auf dem Papier

Warum halten sich viele Zeitgenossen nicht an die auf Schaubildern und Schrifttafeln unmissverständlich vermeldete Leinenpflicht? An mangelhaften Seh- und Lesefähigkeiten dürfte es kaum liegen. Vielleicht daran, dass Wald- und sonstige Ordnungshüter nicht so genau hinschauen und Verstöße zu selten geahndet werden? So selten zumindest, dass die drohenden Bußgelder – in bis zu dreistelliger Höhe – kaum eine abschreckende Wirkung entfalten.

Belgien wäre aber nicht Belgien, wenn es keine Ausnahmen gäbe – zumindest noch für ein Weilchen. So erstreckt sich der „Forêt de Soignes“/„ Zoniënwoud“, der gut 4.400 Hektar große Wald vor den südlichen Toren der Hauptstadt, über drei Regionen. Der größte Teil – 2.455 Hektar – entfällt auf Flandern, 263 Hektar auf Wallonien. Hier gilt der Anleinzwang ohne Wenn und Aber. In dem zur Brüsseler Hauptstadtregion zählenden, 1.665 Hektar großen Teil dürfen die Vierbeiner hingegen frei herumlaufen,

Wo endet Brüssel?

Foto: M. Stabenow

Das wirft, jenseits vom Für und Wider die Leinenpflicht, manch praktische Probleme auf. Wo endet Brüssel, wo beginnen Flandern und Wallonien? Die Bäume tun das, was sie immer tun und sie nicht gerade einer der zuletzt häufigeren Stürme bedenklich knarren lässt: sie hüllen sich in vornehmes Schweigen.

Des Lesens und Schreibens kundige Hundebesitzer können sich beim Blick auf die hier und dort angebrachten Wegebezeichnungen verlassen – auch wenn nicht ganz. Dort, wo die Schilder nicht, wie in Brüssel, zweisprachig, sondern nur niederländisch oder französisch beschriftet sind, gilt: „Hunde stets an die Leine!“

Aber nicht überall. So ist die Beschilderung in dem zu Sint-Genesius-Rode/Rhode-Saint-Genèse zählenden Teil des Waldes zwar gemäß einer dort geltenden Sonderregelung zweisprachig. Da die Gemeinde jedoch zu Flandern gehört, dürfen Hunde dort nicht frei herumlaufen.

17 tote Rehe – 15 mehr als 2017

Foto: M. Stabenow

Wie die Brüsseler Tageszeitung „Le Soir“ jetzt berichtet hat, soll mit dem Durcheinander in der nicht nur bei Zwei- und Vierbeinern beliebten grünen Lunge vor den Toren Brüssels spätestens Mitte 2024 Schluss sein. So feilten die drei Regionen an einer einheitlichen Regelung.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden zunehmenden Nutzung der Waldwege hätten die „mit einem Mangel an Höflichkeit verbundenen Probleme“ stark zugenommen, zitiert die Zeitung David Kuborn, den Direktor einer um das Wohl des Waldes bemühten Stiftung. Seit sich dort immer mehr Hunde tummeln, ist die Zahl der tot aufgefunden Rehe auf zuletzt – 2021 – 17 Rehe angewachsen. 2017 waren es nur zwei.

„Le Soir“ beschreibt die „Gefechtslage“ im Wald so: Hunde gegen Spaziergänger, Jogger, Radler, Reiter, Pferde, Hunde untereinander, Eigentümer untereinander … an Gelegenheiten für Konflikte mangelt es nicht.“ Soll all dies der Vergangenheit angehören, müsste freilich jene Devise beherzigt werden, die im flämischen und wallonischen Teil des Waldes tagtäglich nach wie vor missachtet wird: „Hunde an die Leine!“

 

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