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„Der Sozialismus stirbt nie!“ Aber vielleicht irrt Elio di Rupo?

Von Tom Weingärtner.

Der Ministerpräsident der Region Brüssel, Rudi Vervoort (PS), hatte einen Traum. In dieser Legislaturperiode wollte er sich um die maroden Tunnel im Straßennetz der belgischen Hauptstadt kümmern. Das erwarten auch seine vom Dauerstau geplagten Wähler. Aber es kam anders. Seit ruchbar wurde, dass sich die seit einer gefühlten Ewigkeit regierenden Genossen in der Wallonie schamlos in den öffentlichen Kassen bedient haben, wankt ihre Macht nicht nur in Lüttich und Namur.

Kurz vor Weihnachten hatte das Magazin Le Vif aufgedeckt, dass sich zahlreiche Mandatsträger in der Region Lüttich nicht mit ihren Bezügen als Bürgermeister oder Abgeordneter zufrieden geben. Beim Gemeindeverband Publifin erhielten sie darüber hinaus üppige Sitzungsgelder, um hin und wieder an Sitzungen seiner Aufsichtsräte teilzunehmen. Viele bekamen das finanzielle Zubrot auch, ohne jemals an einer solchen Sitzung teilgenommen zu haben. Seitdem haben die Presse, die Justiz, diverse Untersuchungsausschüsse und -kommissionen ein ausgedehntes Netzwerk zur Plünderung der öffentlichen Kassen aufgedeckt, an dem nicht nur der Parti Socialiste beteiligt ist. Allerdings stecken die Sozialisten, die seit Jahrzehnten an der Macht auf allen Ebenen des Landes beteiligt sind, am tiefsten im Sumpf der Pfründenwirtschaft.

Anfang Juni riss der bislang jüngste Skandal den Bürgermeister von Brüssel, Yvan Mayeur, und seine Vertraute, Pascale Peraita, in den politischen Abgrund. Beide sollen als Verwaltungsräte der staatlichen Wohlfahrtsorganisation Samusocial Sitzungsgelder von 72 000 Euro aus einem Programm für Obdachlose bezogen haben. Mayeur, der dem linken Flügel des PS zugerechnet wird, bezog, nach einem Bericht der Libre Belgique, neben seinem Gehalt als Bürgermeister der Hauptstadt, 5000 Euro monatlich als Verwaltungsrat des Wasserversorgers Vivaqua. Am 8. Juni traten beide von ihren Ämtern zurück, nachdem die bürgerlichen Koalitionspartner Mayeur die Gefolgschaft verweigerten.

Inzwischen bewegte den in der Wallonie mitregierenden CDH (Centre Democrate Humaniste) die Frage, ob das Bündnis mit den Sozialisten in Namur noch eine Zukunft haben könnte. CDH-Chef Benoit Lutgen will verhindern, dass der üble Ruf, in den die Genossen geraten sind, die eigene Partei in Mitleidenschaft zieht. Lutgen(47) hat die Koalition mit den Leuten von Elio di Rupo, dem Parteichef des PS, aufgekündigt. Am Wochenende verhandelte Lutgen mit dem Chef des liberalen MR, Olivier Chastel, über die Bildung einer bürgerlichen Regierung in Namur. Zusammen verfügen CDH und MR über eine Stimme Mehrheit im Parlament der Wallonie.

Nichts unternommen

Damit ist der PS, an dem Jahrzehntelang kein Weg in Belgien und schon gar nicht in der Wallonie vorbeiführte, nahezu überall von der Macht verdrängt. Noch Ende letzten Jahres hatte der wallonische Regierungschef, Paul Magnette, ganz Europa mit der Drohung in Atem gehalten, das Handelsabkommen der EU mit Kanada, Ceta, auf dem Altar seiner Anti-Globalisierungs-Ideologie zu opfern. Jetzt kämpfen die Sozialisten, die bereits 2014 aus der Föderalregierung geflogen sind, in ihrer francophonen Hochburg ums Überleben. Nur in der Hauptstadtregion sind sie noch an der Macht beteiligt. Ministerpräsident Vervoort ist zuversichtlich, dass er bis zur nächsten Wahl 2019 weiter regieren kann. Obwohl er einräumt, dass die Skandale der letzten Monate „verheerend“ für seine Partei sind. Allerdings muss auch Vervoort um seine Macht fürchten. Denn die Region, die die Rechtsaufsicht über die Brüsseler Gemeinden ausübt, muss sich vorwerfen lassen, Nichts gegen die gierigen Gepflogenheiten unternommen zu haben.

Viele Parteimitglieder fürchten jetzt, dass den PS das gleiche Schicksal ereilt wie die Genossen in Frankreich oder den Niederlanden: der Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit. Erste Anzeichen dafür sind unübersehbar. In den Umfragen ist der PS, der bei den letzten Wahlen in der Wallonie noch 32 Prozent der Stimmen erhielt, auf 16 Prozent abgestürzt. Gleichzeitig hat die linke Konkurrenz, die PTB(Parti du Travail Belgique), Boden gutgemacht. Die Freunde des französischen Linkspopulisten Jean-Luc Melenchon, die bislang mit rund fünf Prozent eine Randerscheinung in der politischen Landschaft waren, könnten nach Absicht der Demoskopen derzeit mit 13 bis 14 Prozent der Stimmen rechnen. CDH-Chef Lutgen, der jetzt versucht, die Sozialisten die Klippe hinunterzustürzen, an deren Rand sie sich manövriert haben, wird von den belgischen Medien als „der Macron der Wallonie“ gefeiert.

Die Kontrolle entgleitet

Derweil entgleitet PS-Chef Elio di Rupo die Kontrolle über die Partei. Während die Parteibasis nach einer durchgreifenden Entflechtung der Postenwirtschaft ruft: „décumul integral“, versuchen die Funktionäre zu retten, was zu retten ist. Während di Rupo versucht, zwischen den beiden Lagern zu vermitteln, hat sich sein innerparteilicher Gegner, Paul Magnette, auf die Seite der Basis geschlagen. Auf einem Sonderparteitag Anfang des Monats konnten sich die Mandatsträger mit der Forderung durchsetzen, die Ämterhäufung fortzusetzen. Lediglich die aus mehreren Posten resultierenden finanziellen Vorteile sollen in Zukunft begrenzt werden:“décumul financier“. Hauptargument: damit sollen die öffentlichen Kassen geschont werden. Elio di Rupo rief den Delegierten auf dem Parteitag in l’Eau d’Heure zu: „Der Sozialismus stirbt nie !“ Aber so richtig lebendig ist er im belgischen Parti Socialiste wohl auch nicht mehr.

One Comment

  1. Alfons Van Compernolle

    Da hat “Di Rupo” sicher Recht – Der Sozialismus und der Traum einer echten Sozialen Gesellschaftsstruktur stirbt nie-!!!! Warum auch, hat es doch noch niemals einen echten und realen sozialistischen Staat gegeben.
    Was aber Sterben wird ist die “PS” denn die Totengraeber sind ihre “skandalumwitterten von Machtgeilheit und Selbstbereicherung” getrieben Fuehrungselite, von denen mit Sicherheit kein einziger jemals “Marx” gelesen hat und wenn doch, kein einziges Wort davon begriffen hat!
    Die PS ist zum Glueck nicht Belgien und das ist auch gut so, denn Belgien und seine Bevoelkerung
    haben besseres verdient. Belgien ist ein schoenes Land, Belgien ist ein Kulturstaat und mit einer
    sehr freundlichen – menschlichen Mentalitaet gesegnet.

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