Aktuell, Wirtschaft

Der harte Brexit kommt Belgien teuer

imagesVon Rainer Lütkehus.

Im Juni stimmte eine kleine Mehrheit der Briten für den Austritt aus der EU, kurz Brexit genannt. Bis vor Kurzem wusste niemand so genau, ob es wirklich, und wenn ja, wie und wann dazu kommen würde. Jetzt steht fest: Das Vereinigte Königreich wird den besagten Artikel 50 des Lissabonner Vertrags spätestens im April 2017 unterschreiben und ganz austreten, d.h. den Zugang zum EU-Binnenmarkt ab 2019 verlieren (harter Brexit).

Die Ökonomen sind sich einig: Überall in der EU litte die Wirtschaft darunter. Strittig ist nur das Ausmaß. Es gibt nur grobe auf Simulationen beruhende Schätzungen. Klar ist, dass vor allem Großbritannien leiden würde. Aber was wären die volkswirtschaftlichen Kosten für Belgien? Immerhin ist Großbritannien der viertgrößte Handelspartner Belgiens nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Importzölle und ein schwaches Pfund wären ein großes Exporthindernis für die belgische Wirtschaft, insbesondere für die flämische, denn 85 Prozent aller belgischen Exporte nach Großbritannien kommen aus Flandern.

Belgiens Außenhandel* 2015 (in Mrd. Euro)

Vereinigtes Königr. Deutschland Österreich Schweiz Welt
Warenexporte nach

18,2

36,6

2,4

3,5

235,4

Warenimporte aus

13,3

36,0

1,5

2,4

240,0

Handelsdefizit (-)/überschuss (+)

4,9

+0,6

+0,9

+1,1

-4,6

*) nationales Konzept: nur Gebietsansässige, jüngste jahresbezogene Zahlen

Quelle: NBBStat, Juli 2016

Die katholische Universität Löwen hat untersucht, welche Branchen am meisten leiden würden. Betroffen seien vor allem die Teppich-, die Textil und die Lebensmittelindustrie, was die De-Industrialisierung Belgiens beschleunigen würde. Manche im Königreich produzierten Industriegüter gingen zu mehr als 20 Prozent nach Großbritannien, heißt es in der Studie. Leiden würde auch Belgiens Vorzeigebranche: die Chemie. 13 Prozent aller belgischen Exporte nach Großbritannien waren 2015 Chemie-Produkte.

Aber nicht nur Belgiens Realwirtschaft hat enge Verflechtungen zur britischen Insel, sondern auch die Finanzwirtschaft. Mehr als 20 Milliarden Euro betragen dort die belgischen Investitionen. Ein Wertverlust des britischen Pfundes gegenüber dem Euro bedeutet weniger Rendite. Das Pfund hat seit dem Brexit-Votum rund 15 Prozent an Wert verloren.

Die Wohlfahrtsverluste hat die Bank ING unter die Lupe genommen. Der Wachstumsverlust sei mehr als doppelt so groß wie im EU-Durchschnitt. Die Bank rechnet mit bis zu 0,7 Prozentpunkten weniger Wirtschaftswachstum in Belgien. Das ist viel; beträgt das derzeitige Wachstum doch gerade mal rund ein Prozent.

Laut einer Simulationsrechnung der Bertelsmann-Stiftung läge das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf 2030 in Belgien bei einem harten Brexit um rund ein Prozent niedriger als ohne Brexit. Deutschland und Österreich zum Vergleich: 0,3 Prozent bzw. 0,2 Prozent. Belgien würde überdurchschnittliche BIP-Einbußen verbuchen. Der Durchschnitt der Rest-EU (27) liegt bei 0,4 Prozent. Auch die London School of Economics sieht das ähnlich. Damit wäre Belgien nach Großbritannien, Irland und den Niederlanden das am viertgrößten betroffene Land von einem Brexit.

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