Politik

Belgische Wirtschaft spürt die Folgen von Corona und fehlender Regierung

Von Michael Stabenow.

Bis Anfang August sollten die Parteivorsitzenden Paul Magnette (PS) und Bart de Wever (N-VA) eigentlich endlich ein regierungsfähiges Bündnis verhandeln. Diese Frist wurde nun, wenig überraschend, bis zum 17. August verlängert, wenn die beiden Unterhändler König Philippe über ihre Fortschritte unterrichten sollen.

Dann soll endlich Klarheit herrschen, ob das Land mehr als 440 Tage nach der Parlamentswahl, demnächst wieder über eine handlungsfähige Regierung verfügen kann. Einen Monat länger, bis zum 17. September, gilt das “parlamentarische Vertrauen”, das eine breite politische Mehrheit Mitte März unter dem Eindruck des Ausbruchs der Coronavirus-Pandemie der Minderheitsregierung von Sophie Wilmès ausgesprochen hat.

Der Druck zur Regierungsbildung steigt. Die gravierenden wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie werden immer deutlicher. So meldete die belgische Nationalbank Ende Juli, dass die Wirtschaft des Landes im zweiten Quartal gegenüber dem ersten Quartal real um 12,2 Prozent geschrumpft sei. Wenig später wurde bekannt, dass die Steuereinnahmen im ersten Halbjahr fast zehn Milliarden Euro niedriger als im entsprechenden Vorjahreszeitraum ausgefallen seien. Erwartet wird inzwischen, dass in diesem Jahr die öffentliche Neuverschuldung auf 12,3 Prozent und der belgische Schuldenstand von 99 auf 122 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hochschnellen dürften.

Fieberhaft suchen Magnette und De Wever, die nach etlichen, auch eigenen, Fehlschlägen zur Regierungsbildung plötzlich zueinander gefunden haben, nach einer parlamentarischen Mehrheit. Doch sie scheinen nur im Schneckentempo voranzukommen. Fünf Parteien, die zusammen auf 69 der 150 Mandate kommen, zeigen sich derzeit entschlossen, eine Koalition einzugehen: Außer N-VA (24 Sitze), PS (19 Sitze) sind dies die flämischen Sozialisten (SP.A, 9 Sitze) sowie die flämischen Christlichen Demokraten (CD&V, 12 Sitze) und deren französischsprachige Schwesterpartei CDH (5 Sitze).

Für die kommenden Tage sind weitere Gespräche sowohl mit den Liberalen beider Landesteile (MR, 14 Sitze, sowie Open VLD, 12 Sitze) als auch mit den Grünen (21 Sitze) zu erwarten. Insbesondere die Pläne für eine weitreichende Staatsreform, die De Wever und Magnette geschmiedet haben, sind jedoch nicht nach dem Geschmack von Grünen und Liberalen. So soll nicht nur die Zuständigkeit für das in der Corona-Krise überstrapazierte Gesundheitssystem an die Regionen übergehen. Auch das Justizwesen, die Polizei, die Arbeitsmarkt- sowie große Teile der Verkehrspolitik sollen der Zuständigkeit des Bundesstaats entzogen werden.

Kein Wunder, dass der Vorsitzende der französischsprachigen Grünen (Ecolo), Jean-Marc Nollet, von einem „Vorzimmer des Konföderalismus“ sprach. Völlig unzumutbar sind für die Grünen die Pläne zur Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke Doel 4 und Tihange 3. Diese werden offenbar nun auch von den Spitzen von PS, SP.A, CD&V und CDH unterstützt, womit der gesetzlich für das Jahr 2025 beschlossene Atomausstieg hinfällig wäre.

Nicht zuletzt deshalb gibt es Vermutungen, die Gespräche mit den Grünen seien lediglich ein taktischer Schachzug, insbesondere De Wevers, um wenigstens die 12 Open VLD-Abgeordneten ins Regierungslager zu locken. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Handtuch zwischen dem N-VA-Chef und dem MR-Parteivorsitzenden Georges-Louis Bouchez, der von einer Rückkehr zum belgischen Einheitsstaat sprach, zerschnitten ist. Doch De Wevers Strategie, einen Keil zwischen die Liberalen beider Landesteile zu treiben, ist bisher misslungen. Sie werfen De Wever vor, er erkaufe die Zustimmung der Sozialisten zum weiteren staatlichen Umbau dadurch, dass er ihre Wünsche in der Sozialpolitik und bei der Besteuerung wohlhabender Bürger, erfülle wolle.

Ob De Wever und Magnette dazu bereit sind, ihr mühsam vereinbartes Kompromisspaket wieder aufzuschnüren, ist zweifelhaft. Deshalb wird in Brüssel auch darüber spekuliert, dass die fünf Parteien eine Minderheitsregierung bilden könnten. Auf Unterstützung der Grünen können sie dabei jedoch kaum rechnen. Deren flämischer Parteivorsitzender, Kristof Calvo, zeigte sich verärgert über angebliche Pläne De Wevers und Magnettes, die Amtszeit der Regierung auf zwei bis drei Jahre zu befristen.

 

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