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Belgien vor der Reform des europäischen Co2-Handels

Von Rainer Lütkehus.

23 internationale und belgische Industriekonzerne produzieren in Belgien Produkte, für die viel Strom und Erdgas sowie Erdöl gebraucht wird, was viel Treibhausgas-Emissionen zur Folge hat. Darunter sind 7 Unternehmen aus der Metall- und 16 aus der Chemieindustrie, Belgiens Vorzeigebranche.

Sicher ist, dass ab 2021 die Chemiekonzerne Airliquide, Airproducts, BASF, Covestro (Bayer), Borealis, Dow, Evonik, Ineos, Lanxess, Praxair, Solvay, Tessenderlo, Total, Unilin und Yara sowie die Metallkonzerne Arcelor Mittal, Aperam, Aurubis, Bekaert und Umicore für die Kohlenstoffemissionen, die sie in Belgiens Himmel ausstoßen, mehr bezahlen müssen als bisher, wenn sie nicht die effizientesten Anlagen haben. Denn dann müssen sie die Emissionsrechte erwerben, von denen es immer weniger geben soll. Grund ist die Reform des europäischen Treibhausgashandels.

Im April fangen das EU-Parlament und die EU-Regierungen an, über die Reform des europäischen Treibhausgashandels (ETS) zu verhandeln. Ende des Jahres soll die Reform in trockenen Tüchern sein. An dem Emissionshandel müssen alle Industrie- und Stromunternehmen der EU teilnehmen. Das ETS ist ein komplexes Gebiet, wo es Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gibt. Laut Eurostat stieß die verarbeitende Industrie in Belgien 2014 immerhin rund 13 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft und die Strom- und Gasindustrie rund 20 Millionen Tonnen. Belgien und Deutschland wollen das Klima schützen, aber auch verhindern, dass ihre Industrien dahin abwandern, wo sie für ihre Treibhausgasemissionen nichts bezahlen müssen.

Die 28 EU-Umweltminister einigten sich mühsam auf ihrer letzten Sitzung im Februar in Brüssel auf einen Kompromiss. Nun wird mit dem EU-Parlament weiter verhandelt. Es sieht so aus als würde der Klimaschutz für Belgiens energiehungrige Industrie nicht so teuer, wie von dieser befürchtet

Wie der Name schon sagt, ist der Emissionshandel europäisch. 31 Länder, die EU-28, Norwegen, Island und Liechtenstein nehmen teil. Jedes Land hat ein bestimmtes Kontingent an Treibhausemissionsrechten, dass es EU-weit an Unternehmen versteigern kann. 25 Länder (darunter Belgien) tun das auf der Leipziger Energiebörse EEX.

Aber der Handel funktioniert bislang nicht so richtig. Deshalb die Reform. Es gibt einfach zu viele Emissionsrechte (Zertifikate) auf dem Markt, weshalb ihr Preis bei derzeit rund 5 Euro liegt. Mit einem gekauften Zertifikat hat man das Recht, eine Tonne Treibhausgase (vor allem Co2) auszustoßen. Bei einem Preis von 5 Euro investiert kaum ein Unternehmen in klimafreundliche Technologien. Immer wieder hat man das seit 2005 bestehende Handelssystem (ETS) reformiert, aber der Co2-Preis blieb unten. Die Reform ist auch notwendig, weil die Klimaziele ehrgeiziger sind als früher. Die EU hat sich zu einer Reduktion der Co2-Emissionen für das Jahr 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 verpflichtet.

Der Emissionshandel ist das entscheidende Instrument der EU zur Verringerung des Co2-Ausstoßes. Eine Co2-Steuer wäre nicht möglich gewesen, weil in Steuerfragen alle EU-Länder zustimmen müssen. In den Handel sind sowohl Stromerzeuger als auch die Industrie einbezogen, nicht aber der Verkehr oder die Landwirtschaft.

Die vom Emissionshandel betroffenen Betriebe müssen für jede Tonne Co2, die sie ausstoßen, den zuständigen Behörden Zertifikate vorlegen. Diese müssen sie vorher auf Auktionen kaufen oder bekommen sie gratis zugeteilt, wenn sie im internationalen Wettbewerb stehen und viel Energie brauchen. Die Menge der Emissionsrechte wird dabei von vornherein so begrenzt, dass die EU ihr Klimaziel 2030, d.h. 40 Prozent weniger Co2 als 1990, erreicht. Stößt ein Unternehmen mehr Co2 aus, als es Emissionsrechte hat, kann es Rechte von anderen Unternehmen kaufen oder aber die Emissionen durch Investitionen in neue Technik senken. Letztlich wird es sich für den günstigeren Weg entscheiden. Damit soll nicht nur sichergestellt sein, dass die Emissionen gesenkt werden, sondern auch, dass das zu möglichst geringen Kosten geschieht (Kosteneffizienz).

Die Gesamtzahl der zur Versteigerung und zur Zuteilung verfügbaren Zertifikate soll im Zeitraum 2021-2030 um jährlich um 2,2 Prozent gekappt werden. Derzeit liegt die jährliche Verknappung bei 1,74 Prozent, und zwar bis 2020. 57 Prozent der Menge soll versteigert, der Rest den unter internationalem Wettbewerb stehenden Unternehmen, die viel Energie brauchen, gratis zugeteilt werden, aber das auch nur, wenn ihre Anlagen zu den 10 effizientesten ihrer jeweiligen Branche gehören.

Die EU-Umweltminister einigten sich darauf, die 57 Prozent um 2 Prozentpunkte verringern zu können, sollte die Exportindustrie in ihren Ländern die Kappung nicht meistern können. Die flämische Umweltministerin Joke Schauvliege, die Belgien vertrat, forderte sogar 5 Prozentpunkte, stimmte dem Kompromiss schließlich zu, wie Deutschland übrigens ebenso, das auch seine Industrie schützen wollte. Damit liegen beide Länder auf einer Linie.

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