Politik

„Rote Teufel“: Hoffentlich bleibt was…

270514_MSR_0Für Belgien ist die Fußball-Weltmeisterschaft zu Ende: Die „Roten Teufel“ strandeten nach einem strahlenden Siegeszug im Viertelfinale. In den Wochen zuvor hatte ganz Belgien für seine Nationalmannschaft gefiebert. Von Spaltungsgelüsten keine Spur, von Politik keine Rede mehr. Unsere Reporterin hat die Fußball-WM in ihrer Wahlheimat Antwerpen erlebt. Wo noch immer die belgische Trikolore an zahllosen Häusern flattert. Marion Schmitz-Reiners kommentiert.

Am 17. Juni errang Belgien seinen ersten Sieg in der WK-Vorrunde mit einem 2:1 gegen Algerien. Als ich nach dem Spiel, das ich mit angehaltenem Atem bei Freunden verfolgt hatte, zu Hause aus der Straßenbahn stieg, war in der Kneipe bei uns um die Ecke der Teufel los. Eine ehemalige Nachbarin zog mich herein und wir tanzten bis Mitternacht auf den Tischen. Der Jubel war unbeschreiblich.

Am nächsten Tag hängte ich eine belgische Flagge aus dem Fenster meines Hauses. Sie war die zweite in meiner Straße, einige Tage später flatterte die Trikolore fröhlich an fast allen Häusern. Wobei hinzugefügt werden muss, dass ich in einem Antwerpener Vorort wohne, von dem ich annehme, dass die meisten Bürger der nationalflämischen Partei N-VA zuneigen. Es folgte am 22. Juni das Spiel Belgien-Russland (1:0) und am 26. Juni das Spiel Belgien-Südkorea (1:0). Der Sprung ins Achtelfinale war geschafft.

Mittlerweile war ganz Antwerpen beflaggt. Die Sonne schien, Belgien erlebte seinen Sommertraum. Dass die Regierungsverhandlungen in Brüssel stockten, dass N-VA-Chef Bart De Wever vor nicht allzu langer Zeit seinen Wahlkampf dem Versprechen der Spaltung Belgiens aufgebaut hatte (wovon im Übrigen nicht mehr die Rede war, als er zum Sondierer einer möglichen Regierungskoalition ernannt wurde), das interessierte niemanden mehr. Das Königreich war wieder das Heimatland aller Belgier. Und von De Panne bis Arlon drückte man den „Teufeln“ inbrünstig die Daumen.

Am 1. Juli spielten die „Teufel“ gegen die USA. Sie gewannen in der zweiten Verlängerung mit 2:1. Ihr Spiel war jung, frisch, stürmisch, ein Kommentator nannte es „frivol“. Als ich nach Hause fuhr, geriet ich in einen hupenden Autocorso. Menschen tanzten auf der Straße und schwenkten die Trikolore, Fremde fielen sich in die Arme. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, dachte auch ich: „Ich lebe in einem schönen Land und wir können stolz auf uns sein.“

Der Siegeszug kam am 5. Juli im Viertelfinale zum Erliegen. Belgien verlor nach einem schwachen Spiel mit 0:1 gegen Argentinien, nicht gerade ein Angstgegner. Dass kein einziger Spieler WM-Erfahrungen hatte, dass viele Spieler erst Anfang zwanzig waren, das machte sich nun bemerkbar. Was den „Teufeln“ in der Spielen zuvor zum Vorteil gereicht hatte, der Sturm und Drang von Neulingen, das geriet ihnen nun zum Nachteil: Sie schienen nervös und unsicher. Am nächsten Morgen lag eine bedrückte Stille über Antwerpen. Das Sommerfest war vorbei. Auch wenn man zunächst schon froh gewesen wäre, wenn die „Teufel“ die Vorrunden überlebt hätte, so hatte doch so mancher Belgier angefangen, vom Halbfinale oder gar Finale zu träumen. Während, in das zwischen Klammern, Deutschland sich schon in der Vorrunde des Finales sicher war.

Es hat nicht sollen sein. Aber trotzdem wird etwas bleiben. Nicht nur Fußballfans zitterten um ihre Mannschaft, ganz Belgien fieberte mit. Fast könnte man meinen, dass es die Politiker sind, die Belgien immer wieder an den Rand des Abgrunds treiben, während die Belgier selber gern in ihrem Land leben und auch stolz darauf sind. Die Fußball-WM war ein Ventil, durch das sich der verdrängte Nationalstolz entladen konnte.

Immer wieder las ich in den vergangenen Wochen in Analysen der WM, dass man sich hüten müsse, Sport und Politik miteinander zu vermengen (im Übrigen jubelte auch die Presse). Fakt ist jedenfalls, dass an den Häusern meiner Straße auch nach der Niederlage noch immer die Trikolore flattert. Es wird mir und meinen Nachbarn schwer fallen, sie abzuhängen. Und das ist ja auch schon etwas.

Marion Schmitz-Reiners

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